Inneralpine Hammertage 19.6. und 20.6.2000

 

Zum x-ten Mal stehe ich mit kariertgekleideten Wanderern in der Warteschlange der Nebelhornbahn, sehnsüchtigst darauf wartend, endlich einen schmerzlichen Betrag jenseits der dreißig Mark Grenze an der Kasse abdrücken zu dürfen - aber wenn es sich rentiert, bitteschön...

 

Zum „Nachfliegen“ dieses Dreiecks solltet ihr die 1:50.000er Wanderkarten 351 und 352 von freytag&berndt zur Hand nehmen oder euch mit der gröberen 1:200.000er österreichischen Generalkarte Nr. 3. zufrieden geben.

 

Spät, um 11.50 Uhr starten wir, Willi Schierle und ich, in die stabile Nebelhornluft, „kaum besser als gestern“, murmle ich in meine Sturmhaube. Aber gestern war Sonntag und die guten Flugtage waren heuer fast immer unter der Woche, es muss doch besser gehen! Geht doch! Nach fünfzehn Minuten ist das Startfoto (Schattenbergschanzen) im Kasten. Willi fliegt den Schattenberg an, hat dort aber einige Mühe, so dass ich nochmals Höhe am Geißfuß mache und sich unsere Wege am Schochen erneut kreuzen.

Jetzt heißt es keinen Fehler machen, denn das Joch nördlich des gr. Wilden ist eine schwere Hürde auf dem Weg ins Hornbachtal. Sicher, mit 2700m könnte man von hier aus locker abgleiten... uns bleibt nur, am Schneck/Himmelhorn noch einmal zu kurbeln. Zentimeter- ja fast nur millimeterweise scheint es nach oben zu gehen. Nur nicht die Geduld verlieren! Fliegt man hier zu tief ab, bleibt nur der bittere Kampf ums Absaufen - mit Glück findet man beim Zurückgleiten wieder Anschluss am Schochen, verliert aber mindestens eine halbe bis dreiviertel Stunde und „verspielt“ damit jeden Gedanken an das Inntal.

Willi fliegt ab! Aber den Fehler, in gleicher Höhe mitzugleiten, hab ich letztes Jahr schon mal gemacht - und hoffentlich daraus gelernt - also weitersuppen, bis auch ich mich schließlich traue. Die paar Minuten bis zum Joch sind der helle Wahnsinn, ständig die Befürchtung im Bauch, dass es nicht reichen könnte... Wie fast immer schiebt der Wind die letzten Meter leicht von hinten und mit ca. 30m über Grund gleite ins Wildental – puhhh!

 

Der Schlauch in der Nähe des Hüttenkopfs steht zuverlässig, ist aber auch zuverlässig bockig und verblassen, es mag aber auch daran liegen, dass ich meinen Flugstil von 0,2m auf 6,2m Steigen nicht so schnell umstellen kann. Sobald es die Höhe zuläßt, geht es an die Ostrippe des Hochvogels, wo ich mit 3200m erstmals eine vernünftige Arbeitshöhe erreiche. Eindreiviertel Stunden für die ersten 12km - jetzt heißt es aber Gas geben! Die Route führt nun recht genau entlang des Schenkels, „querfeldein“ in Richtung Fernpass: Zuerst entlang der Hornbachkette, Maximalhöhe an der Stallkarspitze um das Lechtal sicher zu den Südseiten des Namlostals zu queren. Basis am Hühnerspiel und weiter delfinieren bis zur Knittelkarspitze. Landschaftlich und thermisch ein absoluter Hochgenuss! Über Seeleakopf oder Schlierewand, die einen gerne etwas Schweiß kosten können, geht es weiter zur sehr zuverlässigen Gamplespitze, die ab und an schon vor der Fernpassquerung die 4000er Marke spendiert und die Vorfreude auf das Inntal weckt. „Na, geht doch“, für die letzten 33km vom Hochvogel bis zum Wendepunkt (Wanniggipfel) war ich eine knappe Stunde unterwegs. Dennoch ist zum Träumen schon fast zu viel Zeit verstrichen, denn die letzten beiden Male war ich jeweils früher dran - und dennoch hat es am Ende nicht gelangt. Bei der ca. acht Kilometer langen Querung vom Wannig zum Rauchberg hat der Starrflügler neben mir natürlich deutlich bessere Karten! Nach der Querung sollte man sich nicht mit einem 3-Meter-Bart zufriedengeben, sondern, so die Höhe noch reicht, weitergleiten bis das Vario die 5 - 6 Meter-Melodie spielt. Über die Hahntennjochstrasse führt die Route zum Faller Grat, der sich von Ost nach West zur Platteinspitze hochzieht. Jetzt würde natürlich der Hauptkamm der Lechtaler Alpen locken.... den der Starre zielstrebig verfolgt. Thermisch besser ist aber der Weg dem Inntal entlang: Von der Platteinspitze direkt über den Lersengrat zum Eisenkopf, Höhe mitnehmen wo sie locker hergeht, ansonsten weitergleiten, die Aussicht nach Süden genießen und träumen! Am Senftenberg steht dann wieder ein sehr guter Schlauch, und siehe da, reumütig kehrt Kollege Starrflügler hierher zurück. Wir drehen gemeinsam auf knappe 3900m bis ich, ultrastolz, die letzten 20km mit ihm mitgehalten zu haben, den Bart verlasse und frech weiterfliege. Nen Sicherheitskreis an der Silberspitze und gleich weiter zum großen Kessel, der vom Brandkogel nach Osten abgegrenzt wird. Aufdrehen und unter der 4100m hohen Basis bis zum Blankahorn fliegen, bevor man zur Augsburger Hütte hinausgleitet um das ersehnte Wendefoto zu machen. Fast vier Stunden bin ich bisher in der Luft, 15.45 Uhr – passt! Denn nach 16 Uhr wird es wirklich schwierig, die gehegten Erfüllungsgedanken noch zu realisieren. Vom Rauher Kogel gibt es basisabhängig mehrere Varianten über den Lechtaler Hauptkamm zurückzuqueren. Bei geringerer Basis sollte man bis zum Senftenberg retour und weiter über Dremelspitze und Kogelseespitze ins Gramaistal, oder den NW-Seiten entlang zur Reichspitze. Bei der heutigen Viertausenderbasis kürze ich radikal ab und fliege querfeldein, geradewegs in Richtung Kogelseespitze - schneller aber auch riskanter, denn wie schon erwähnt, kann der Lechtaler Hauptkamm einen thermisch ganz schön im Stich lassen. So sauf ich weit unter die 3000er Marke und komme seit langem mal wieder in wärmere Gefilde. Jetzt kommt auch noch der Schweiß dazu, bis mich 150m unter dem Gipfel der Kogelseespitze der längst ersehnte Bart wieder aus meinem Dilemma herausfischt, um mir 7 Minuten später ein letztes Mal die 4000er Marke zu spendieren. Was für eine Freude, Willi kommt vom Senftenberg zu mir herüber! Wir fliegen noch ein Stück dem Grat entlang, bevor wir uns bei der Querung des Bschlaber Tals mental wieder auf schwächere Thermik einstellen können.

 

Geteiltes Leid ist halbes Leid - und doppelte Chance; mal geht es bei ihm besser, mal bei mir. So kämpfen wir uns eine halbe Stunde lang zur Basis am Elmer Muttekopf, bis wir um 17.15 Uhr zur erneuten Lechtalquerung ansetzen. Nach fünfeinhalb Stunden Flugzeit kommt nun die zweite und schwierigere Schlüsselstelle: Wie schafft man es über den Hochvogel zurück nach Oberstdorf zu fliegen? Hier gibt es keine wirklich zuverlässige Route mehr, denn der bayerische Nordwind hat seine Finger in diesem Bereich meist im Spiel; am einen Tag stark, ja fast zu stark, am anderen ist er kaum zu spüren. Heute gelingt uns der neuerliche Einstieg durch nordostseitiges Soaren an der Grubachspitze. Ein anderes Mal geht es besser, wenn man sich in die Südwestwände der Roßkarspitzen rettet, die Gewissheit im Bauch, bei einem Abhocker im Hornbachtal landen zu müssen. Egal, welchen Trick man sich einfallen lässt, am Hochvogel sollte man mindestens auf Gipfelhöhe vorbeigleiten. Die zu realisieren kostet uns heute über eine Stunde! Immer am Grat entlang müssen wir nun ein letztes Mal bangen, ob die Höhe für das Himmeleckjoch auch wirklich reicht - „super!“ Noch ein paar Sicherheitskreise am Schneck und genüsslich ausgleiten, um schließlich ultrahappy um zehn vor Sieben in Oberstdorf einzuschweben.

 

Am folgenden Tag stehe ich wieder an der Kasse der Nebelhornbahn, sehnsüchtigst darauf wartend, endlich einen schmerzlichen Betrag jenseits der dreißig Mark Grenze an der Kasse abdrücken zu dürfen. An diesem Tag gelingt mir das Dreieck erneut - da hat es sich doch wirklich rentiert, dankeschön...

 

Uli M.